Waldorf und mehr


Denn es ist Lucia. Und Yorams nur natürliche Frage in diesem Zusammenhang lautete heute morgen: Warum feiert man eigentlich Lucia? – Gute Frage!, meinten wir unisono, Die musst du deinem Fröken stellen. Sprich: Deiner Lehrerin. Mal sehen, mit welcher Botschaft er heute nach hause kommt, denn selbst nach neun Jahren Schweden haben wir die Botschaft dieses Tages noch nicht geschnallt.

Früher war das mal Pioniergeburtstag – aber das war woanders, in einem anderen, längst verschwundenen Land. Atlantis? Nee, so lange ist es dann doch noch nicht weg, das Land…

Aber hier ist heute Ausnahmezustand, was für mich bedeutet, dass ich oimmer noch nicht weiss, ob ich heute Unterricht habe und, wenn ja, wieviel. Und es ist schon 9.03, und ich sitze schon im lehrerleeren Lehrerzimmer der Schule.

In Erfahrung gebracht habe ich allerdings, dass die Lehrer der Schule – mich ausgeschlossen, morgen ein Weihnachtsspiel vortragen, zweimal vormittags für die Schüler, zweimal abends für die Eltern. Wenn wir das gewusst hätten, hätten wir es einplanen können, aber so warten meine pensionierten Volksuniversitätsstudenten morgen abend und wollen mit mir Weihnachten feiern mit schwedischen Pfefferkuchen, deutschen Lebkuchen und Stollen sowie jüdischen Sufganiot, Berlinern also. Dazu gibt’s schwedischen Glögg zu trinken, eine Art Glühwein, in Deutschland besser bekannt als Medizin – extra süss, einigermassen eklig, auf alle Fälle heutzutage alkoholfrei imLande der sta(a)(t)tlich verordneten Antialkoholfetischerie. In diesem Glögg schwimmen dann regelmässig Rosinen und Nüsse. Na, dann!

Am Samstagabend, 16 Uhr, ist dann noch Schulabschlusssingen vor dem Gutshaus, das das Gymnasium beherbergt.

Und dann hat der Ausnahmezustand ein Ende, nämlich Weihnachtsferien, drei Wochen, bis zum 8. Januar. Glücklich die Kinder, die bei uns zur Schule gehen. Aber wer fragt schon die Eltern…

Welch komisches Wort, so war es doch das Hauptthema in einem Vortrag, den R. (eine jüdische Waldorfkindergärtnerin) in Järna bei der jährlichen Tagung der Waldorfkindergärtnerinnen sich anhörte. Eigentlich sollte der Vortag eines renommierten anthroposophischen Kinderarztes über die ersten drei Lebensjahre eines Kindes sein. Der Arzt kam also an die Stelle, wo dann der krabbelnde Mensch beginnt, sich aufrecht zu stellen und anfängt zu laufen. Und dieses schafft er nach seiner Meinung nur dadurch, dass in ihm die Christuskraft wirkt. Hmmm,  R. (mir nicht sehr unähnlich) kann ihren Unwillen nicht verbergen und ihren Mund halten und fragt mitten in die andächtig lauschende Menge der überwiegend schwedischen Zuhörer ( wichtig zu wissen, man widerspricht in Schweden nicht und übt auch niemals Direktkritik – das darf man höchstens hinterm Rücken): Und wie habe ich dann laufen gelernt, so ganz ohne Christuskraft, denn ich als Jüdin spüre die nicht in mir. Alles still, stecknadelstill. Und dann nach längerem Überlegen die Antwort des Arztes: Entschuldigung, darüber habe ich noch nicht nachgedacht.

Vielleicht sollte sich so ein Vortragender genauer mit seinem Fach beschäftigen und daran denken, dass es bei Waldorfs heute interreligiös und international zu geht.

Der berühmte Spruch meiner liebsten Oma Krankenhaus s.A. hat heute mal wieder gestimmt hoch drei. Ich bin also zu nichts richtig gekommen, als zum Revuepassierenlassen des letzten Wochenendes bei Waldorfs in Bromma.

Ich wollte eigentlich gar nicht so richtig fahren und tat es dann doch, denn erstens war die Fahrkarte gekauft und zweitens war es die einzige Möglichkeit, die bei meinem eigentlichen Kurs versäumten Kurseinheiten bei dem jetzt neuen Kurs nachzuholen.

Und wie gut das ich gefahren bin. Nämlich, das sollte so sein.

Ich habe dort oben nicht nur sehr nette Menschen getroffen, wie J. aus Rörum, den Quotenmann im Kurs mit seiner Liebe zu Israel und besonders C. aus Mittelschweden, eigentlich Südafrika, die mir ihre Sorgen erzählte und wo sich herausstellte, dass es die gleichen sind wie meine, was zum Beispiel die Schwierigkeit der Kommunikation mit den Schweden ist (man liebt hier die Nichtkommunikation) und die Beziehungskisten innerhalb Waldorfs (Jobs bekommt man hier oft nur, wenn man jemanden kennt, der schon da arbeitet und womöglich auch noch mit dem verwandt ist) und vor allem unsere Kinder, denn eine ihrer Töchter hat auch Dyslexie, und es ist ihr bei Waldorfs nicht geholfen worden, so dass sie gegen ihren Willen die Tochter umschulte.  Wir hoffen ja immer noch, dass es bei uns an der Schule besser läuft und Jacob den Berg überwindet.

Nein jetzt kommt es. Ich traf da oben – von uns aus ist alles nördlich von Lund „da oben“ – einen Menschen, den ich seit 2 Jahren treffen will, das heisst anrufen sollte und wollte und dann treffen. Und die, wie sich jetzt herausstellte, auf diesen Anruf auch gewartet hat.

R., Waldorffröken, Jüdin und Israelin – ein herrlicher Mensch mit Charisma und voller Offenheit und mit grossem Herzen. Ich ärgere mich so, dass ich nicht früher Mut gehabt habe, sie anzurufen. Sie war unsre Lehrerin für Handgestenspiel. Und sie wusste sofort, wer ich bin und ich wusste, wer sie ist, und sie sieht aus wie eine jüngere Ausgabe meiner Mutter, und ich mag sie sehr. Am Shabbes mit Shabbat Shalom begrüsst zu werden und am Samstagabend mit Shavua tov – und das da oben bei Waldorfs.

Sie will wieder nach Israel zurück, auch wenn sie seit 22 Jahren weg ist, am liebsten nach Harduf. Und ich kann sie verstehen, wir wollen mit, am liebsten. Aber… es gibt so viele Aber.

Jedenfalls für nächstes Jahr Chanukka haben wir es uns vorgenommen und vielleicht kommt R. dann ja mit.

Jedenfalls bin ich froh, das Wochenende da oben gewesen zu sein. Und wie ich zurück kam, war meine koschere Familie (sie hatten gerade im Dreidlach – unserer Kindergruppe im jüdischen Zentrum – das Thema Koscher) am Bahnhof und jubelte mir entgegen, ja ich hab halt meine eigene Fangruppe.

Morgen gehts wieder los mit besserem Elan, hoffentlich.